Blog Beitrag von Alain Kurz.
Viele Unternehmen haben heutzutage noch veraltete Anreiz-Zielsetzungssysteme bei denen man rein den Umsatz oder den Deckungsbeitrag betrachtet. Es gibt aber auch viele unterschiedliche mögliche Systeme, bei denen mehr Faktoren in die Leistungsbewertung und somit in die Bonuskalkulation miteinfliesst. Dabei kann es sich sowohl um persönliche Einzelziele als auch um Team- oder Unternehmensziele handeln. Ein kurzfristiges Anreizsystem ist bei Angeboten, die sich über den Abrechnungszeitraum (1 Jahr) erstrecken, nicht sinnvoll, und je nachdem, wie komplex die zu verkaufenden Produkte sind, ist ein höheres Fixum erst recht sinnvoll. Ob ein Anreizsystem effektiv ist sollte eigentlich einfach herauszufinden sein. Wird aber vielleicht nicht immer gemacht. Aber wenn die Umsatzzahlen stimmen dann ist niemand interessiert daran etwas am System zu ändern gemäss dem Motto: «Never change a running system». Aber vermutlich hätte man trotzdem mehr optimieren können, nicht nur, um die Erfolgszahlen zu erreichen, sondern auch für die Mitarbeiterzufriedenheit und darüber hinaus, um die Fluktuation durch gescheiterte Verkäufer, die die Ziele des einheitlichen Systems nicht erreichen konnten, zu verringern.
So unterschiedlich wie die Unternehmen, Produkte, Verkaufsgebiete und Kunden sind, so unterschiedlich können auch die Vertriebsmitarbeiter sein, weshalb auch auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden sollte. Die Vertriebsmitarbeiter sollten ihre Anreize selbst wählen können. In einer Studie von Bommaraju, R. & Hohenberg, S. (2018) wurde ein Konzept analysiert, bei dem das Unternehmen jedem Mitarbeiter die Wahl zwischen drei verschiedenen Zielen gibt, die auf dem individuellen Verkaufserfolg in der Vergangenheit basieren. Und zwar als Ziel 1: 5% Umsatzsteigerung, Ziel 2: 12,5% Umsatzsteigerung und Ziel 3: 20% Umsatzsteigerung zum Vorjahr. Der Bonus wird mit der höheren Umsatzsteigerung für jedes der 3 Ziele ausgezahlt. Aber nur bei Erreichen des Ziels und nicht bei Überschreiten. Es wird nur eines der drei Ziele festgelegt und die anderen zwei werden verworfen. Der Mitarbeiter schätzt sich selbst ein, wenn möglich, ohne sich zu überschätzen, und wählt sein Ziel aus. Der Mitarbeiter wird so in die Anreizauswahl miteingebunden und ist motivierter durch höheres persönliches Engagement die vielleicht realistischeren Ziele erreichen zu können. Ausserdem erhält das Unternehmen bessere Forecasts. Der Vertriebserfolg konnte in der Studie mit bis zu 25% gesteigert werden.
Quelle: Wieseke, J. (2018). Ist Incentivierung im Vertrieb noch zeitgemäß?. https://vertriebszeitung.de/vist-incentivierung-im-vertrieb-noch-zeitgemaess/
Bommaraju, R. & Hohenberg, S. (2018) Self-Selected Sales Incentives: Evidence of their Effectiveness, Persistence, Durability, and Underlying Mechanisms. Journal of Marketing
Kieser, HP. (2016) Variable Vergütung im Vertrieb – 10 Bausteine für eine motivierende Entlohnung im Außen- und Innendienst. Springer Gabler
Die Studie basiert auf der Zielsetzungstheorie von Klein (1999) welche die Zielverpflichtung als den zentralen Mechanismus, welcher die Leistung von Mitarbeiter beeinflusst. Die Zielsetzungstheorie setzt sich aus drei einzelnen Mechanismen zusammen.
1. Dabei wirkt sich ein anspruchsvolles, aber erreichbares Ziel positiv auf die Zielbindung aus (Erez und Zidon 1984). Je größer die Überzeugung einer Person ist, dass ein Ziel erreicht werden kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieses Ziel auch erreicht werden wird. Man nenn dies Erwartungsmechanismus.
2. Im weiteren neigen Personen die stärker in den Zielfindungsprozess eingebunden sind sich auch stärker für ihr Ziel einzusetzen. Man nennt dies den Partizipationsmechanismus.
3. Also dritter Mechanismus kommt der Zielerreichungsmechanismus noch dazu welcher besagt dass eine Alles-oder-Nichts-Belohnungssystem im Vergleich zu einer proportionalen oder gestaffelten Beziehung zu einer höheren Zielbindung führen kann.
Das untersuchte Konzept der Selbsincentivierung ist interessant, wobei mich interessieren würde wie es sich verhalten würde, wenn auch Boni ausgezahlt würden bei Überschreiten der Ziele. Ein gewisses Mindestziel für die individuelle variable Vergütung muss es geben damit die Unternehmensziele erfüllt werden. Aber wieso gibt es in vielen Unternehmen ein oberes Ziel welches den maximalen Bonus limitiert. Wenn die Verkaufszahlen in einem Vergleichszeitraum weiter gesteigert werden können, dann wird das Unternehmensergebnis noch besser ausfallen und sollte nicht eingeschränkt werden. Mit Sicherheit müssen gewisse Punkte berücksichtigt werden, um den Erfolg einer Einführung in das Unternehmen zu garantieren.
1. Die unterschiedlichen Präferenzen der Vertriebsmitarbeiter müssen berücksichtigen werden. Die individuellen Präferenzen können mit einem zugewiesenen Bonussystem nie ganzheitlich berücksichtigt werden. Deshalb genauso wie man auf die unterschiedlichen Präferenzen der Kunden eingeht muss man dies auch mit dem Verkaufsteam machen. Den diese Heterogenität muss als Chance angesehen werden.
2. Das Anreizsystem muss nachvollziehbar, transparent und verständlich sein. Wenn es zu komplex und unverständlich wirkt, kommt es Diskussionen und je nach dem Neid wenn sich Mitarbeiter untereinander benachteiligt fühlen.
3. Alleinige Entscheidung des Vertriebsmitarbeiters bei der Wahl der Selbstincentivierung ohne externe Beeinflussung. Wenn der Mitarbeiter sein Ziel selbst wählt, dann wird seine Motivation auch grösser sein selbst ausgewähltes Ziel zu erreichen.
Denkwerkstatt Sales Excellence
Bei der André Ramseyer AG, einem führenden Anbieter von Sicherheitsarmaturen in der Schweiz, besteht das historisch gewachsene Bonussystem aus einem niedrigeren Fixanteil und einem attraktiven grossen variablen Anteil. Der variable Anteil im Verhältnis zum Festgehalt liegt bei ca. 30-35%. Der erreichbare individuelle Bonus hat eine Unter- und Obergrenze. Ist die Untergrenze erreicht, wird der Mindestbonus ausgezahlt und der Maximalbonus wird anteilig für höhere Umsätze ausgezahlt, bis die obere Umsatzzielgrenze erreicht ist. Das Ziel wird Anfang des Jahres vorgegeben, wobei der Vertriebsmitarbeiter den Erfolg nicht komplett direkt beeinflussen kann, da die Preise sowie auch die Rabatte vorgegeben sind. Die technische Angebotszusammenstellung und die Angebotskalkulation wird vom Innendienst gemacht gemäss Faktorenliste und Preislisten für Standardprodukte. Etwaige Rabatte werden vom Verkaufsleiter gewährt. Die Vertriebsmitarbeiter haben deshalb nur bedingt Einfluss auf die Erfolgsquote. Es kann deshalb sein, dass in einem einsatzintensiven Jahr die Erfolge fehlen oder auf der anderen Seite durch Grossprojekte in der Hälfte des Jahres die Jahresziele schon erreicht sind. Dies kann natürlich sehr demotivierend sein und fördert keine höheren Umsätze wegen der oberen Umsatzzielgrenze. Zum Glück ist der eigene Ansporn und das Bedürfnis die Kunden gut zu betreuen hoch genug, dass der Vertriebsmitarbeiter während des Jahres die Arbeit nicht stoppt und sich bis Ende Jahr eine Auszeit nimmt. Und im Falle einer Nicht-Erreichung des Jahresziels werden Faktoren wie Anzahl Kundenbesuche, Angebotsnachverfolgung und Wahrnehmung des Mitarbeiters für eine Belohnung des Einsatzes berücksichtigt. Dies wird aber nur so gehandhabt, weil das historisch gewachsene Bonussystem nicht funktioniert und man eine Korrektur vornehmen muss damit die Mitarbeiter nicht die Motivation verlieren. Ein neues Anreizsystem bei der André Ramseyer AG ist in Planung und darf nicht nur die Selbstincentivierung beinhalten. Das neue variable Vergütungssystem muss auch grundlegend besser auf die verschiedenen Einflussfaktoren verteilt werden. Das Selbstincentivierungs-Konzept, welches in der Studie analysiert wurde, würde vermutlich bei Ramseyer nicht funktionieren. Ich kann mir vorstellen, dass das Ziel von jedem Mitarbeiter zu gross ist jedes Jahr den maximalen Bonus zu erreichen und der Verzicht auf diese Möglichkeit keine Option ist. Eventuell liegt dies auch daran, dass der Fixgehaltanteil im Marktdurchschnitt eher im unteren Bereich liegt und deshalb nicht auf die variable Komponente verzichtet werden kann damit ein vergleichbar gutes Jahresgehalt erreicht wird. Wäre das Fixgehalt im oberen Bereich im Vergleich zum Markt, und dafür die variable Komponente bei nur 10-15%. So wäre der Bonus zwar eine willkommene Belohnung aber auch nicht mehr eine Lebensgrundlage. In diesem Fall könnte ich mir besser vorstellen, dass das Konzept funktionieren könnten, aber der Fixanteil müsste erhöht werden.
Podcast SalesX & Innovation
Andererseits wenn der variable Anteil im Bereich von 30-35% bleiben würden, dann wäre eine Kombination des Konzepts mit proportionaler Steigerung und ohne Alles-oder-Nichts-Prinzip sicher auch wirksam. Im Buch von Kieser (2016) stellt der Autor ein Selbstincentivierungs-Konzept bei welchem der Vertriebsleiter das Ziel vorgibt. Das Ziel ist aus Sicht des Vorgesetzen erreichbar. Der Vertriebsmitarbeiter kann sich aber sein Ziel abweichend zum Vorgabeziel selber auswählen. Ähnlich wie in der Studie von Bommaraju, R. & Hohenberg, S. (2018) erhält der Mitarbeiter bei niedriger gewählt Ziel weniger und bei einem höher gewählten Ziel mehr als die Vorgabe. Hier aber erhält der Mitarbeiter aber auch einen Bonus bei Über- oder Unterschreiten der Ziele. Der Mitarbeiter wird aber belohnt für seine richtige Einschätzung. Das heisst umso näher sein erreichtes Ziel bei seiner Einschätzung liegt wird er dafür zusätzlich belohnt.
Bei diesem Modell werden die ersten 2 Punkte der Zielsetzungstheorie auch erfüllt. Das heisst, das Ziel ist erreichbar und die Überzeugung des Mitarbeiters das Ziel zu erreichen macht es wahrscheinlicher dass er dieses erreicht. Und auch hier wird der Mitarbeiter nach seiner Einschätzung gefragt damit er in den Zielfindungsprozesse eingebunden wird. Und diese beiden Mechanismen Erwartungsmechanismus und Partizipationsmechanismus führen zu den ähnlichen Vorteilen, wie die genauere Budgetplanung und die höhere Erfolgsquote. Einzig der Mechanismus des Alles-oder-Nichts-Belohnungssystem, dem Zielerreichungsmechanismus, wird hier nicht angewendet. Dafür aber erhält der Mitarbeiter bei Erreichen eines Mindestzieles immer eine variable Komponente, einfach in Abhängigkeit der Zielerreichungsgenauigkeit, womit dieses Model von Kieser (2016) im Vergleich zum Modell von Bommaraju, R. & Hohenberg, S. (2018) als fairer bewertet werden kann.
Haben in Ihrem Unternehmen die Vertriebsmitarbeiter schon die Möglichkeit auf Selbstincentivierung?