Earned Growth Rate von Remo Gubler.
Das von Fred Reichheld (Bain & Company) entwickelte Net Promoter System (NPS) kennen wir mittlerweile alle. Respektive, wir sind dem Net Promoter System alle schon einmal begegnet. Wenn uns nach einem Besuch im Supermarkt, beim Autohändler oder sogar im Krankenhaus die Frage gestellt wird: «Auf einer Skala von 0 – 10, wie wahrscheinlich ist es, dass du unser Unternehmen an deine Freunde weiterempfiehlst?», dann handelt es sich dabei um das Net Promoter System. Was wir vom Net Promoter System lernen können ist, dass Unternehmen mit einem hohen Net Promoter Score nachhaltiges Wachstum erwirtschaften. Doch weshalb ist das so? Klar, weil Unternehmen mit einem höheren NPS mehr begeisterte Promotoren als unzufriedene Kritiker zu ihren Kunden zählen können. Aber was bedeutet das konkret? Begeisterte Kunden kommen zurück, sie kaufen wieder und sie kaufen mehr. Und, sie erzählen vor allem ihren Freunden von ihren positiven Erlebnissen mit dem jeweiligen Unternehmen. Mit der Weiterentwicklung Earned growth rate wird jetzt ein neuer Aspekt vorgestellt.
In anderen Worten ausgedrückt heisst das, dass aus der Beziehung zu diesen Kunden Up-Selling und Cross-Selling resultiert. Da Kunden, die von unserem Unternehmen begeistert sind unser Unternehmen zusätzlich an ihre Freunde weiterempfehlen, gewinnen wir noch weitere Kunden die bei uns kaufen. Indem wir also unsere bestehenden Kunden begeistern, erwirtschaften wir nachhaltiges Unternehmenswachstum in Form von Umsatz und Gewinn.
Die klassischen Finanzkennzahlen unserer Buchhaltungspraxis scheitern an der Frage wann wir einen signifikanten Mehrwert für unseren Kunden geleistet haben. Hier kommt das Net Promoter System zum Einsatz. Denn es misst die Konsistenz mit welcher eine Unternehmung seine Kunden in Fans respektive Anhänger verwandelt, indem es durch Kundenbegeisterung Wert für den Kunden schafft.
Zudem reduzieren wir durch Kundenbegeisterung auch unsere Kosten. Dies geschieht dadurch, dass Kunden die basierend auf Weiterempfehlung bei unserem Unternehmen einkaufen keine zusätzlichen Marketing- und Verkaufskosten generiert haben. Vereinfacht gesagt haben unsere bestehenden Kunden unserem Unternehmen die Verkaufsarbeit abgenommen, ohne dass wir dafür bezahlen mussten.
Denkwerkstatt Sales Excellence
Die dem Net Promoter System zugrundeliegende Logik lässt erkennen, weshalb Unternehmen heute auf Kundenbegeisterung und nicht mehr auf Kundenzufriedenheit setzen sollten. Das System des Net Promoter Scores wurde entwickelt um Teams dazu zu inspirieren, Kundenerfahrungen zu liefern die nicht bloss Zufriedenheit, sondern Begeisterung bei den Kunden entfachen.
Die Kraft der Kundenbegeisterung ist durch den bemerkenswerten Erfolg der NPS-Leader nachgewiesen. Der «shareholder return» von elf langfristig untersuchten Unternehmen, die das Net Promoter System konsequent und korrekt anwenden, liegt im Median seit 2010 fünfmal so hoch wie der durchschnittliche Median aller US-amerikanischen Unternehmen mit einem Umsatz grösser USD 500 Mio. Diese aussergewöhnlichen Resultate motivierten immer mehr Unternehmen dazu den NPS zu messen. Einige Unternehmen weisen den NPS mittlerweile sogar gegenüber Ihren Aktionären und Investoren aus.
Allerdings haben gefälschte und falsch interpretierte Scores für Verwirrung gesorgt. Dadurch wurde die Glaubwürdigkeit des Net Promoter Systems beschädigt. Unerfahrene Anwender haben das System missbraucht, indem Sie beispielsweise Bonuszahlungen an die Kundenbetreuer mit dem Net Promoter Score verknüpft haben. Dies führte in der Praxis dazu, dass Mitarbeiter sich mehr für Ihre Net Promoter Scores interessierten als dafür das Kundenerlebnis wirklich zu verbessern.
Viele Unternehmen publizieren Ihre Scores ausserdem ohne dass Sie Erklärungen über den Prozess oder die implementierten Präventionsmassnahmen zur Vorbeugung von Manipulation liefern. Es ist oft nicht ersichtlich welche und wie viele Kunden befragt wurden, wie hoch die Response Rate ist oder durch welche Kundeninteraktion die Befragung ausgelöst wurde. Ebenfalls werden selten Angaben dazu gemacht, ob die Befragung durch eine professionelle und unabhängige Partei oder selbständig und unstrukturiert durchgeführt wurde. Dies hat dazu geführt, dass das Net Promoter System in vielen Unternehmen zu einer nichtssagenden Statistik geworden ist.
Diese Erkenntnisse veranlassten Fred Reichheld (Bain & Company), Darci Darnell (Bain & Company) und Maureen Burns (Bain & Company) dazu, das Net Promoter System zu verbessern. Die drei Herren entwickelten ein neues System das nicht mehr auf manipulierbaren Kundenbefragungen, sondern auf harten Bilanzkennzahlen basiert. Zudem sollten die Ergebnisse sämtlicher Kunden und nicht nur selektiv ausgewählter Kunden berücksichtigt werden sowie die Ergebnisse besser vor Manipulation geschützt sein.
Der neue «Net Promoter Score» heisst «Earned Growth Rate”
Earned Growth Rate widerspiegelt das auf Finanzzahlen basierende Gegenstück zum Net Promoter System. Earned Growth berücksichtigt dabei vor allem Kennzahlen aus der Kundenbindung wie Up-Selling und Cross-Selling, aber auch die Erlöse, welche durch Gewinnung von Neukunden basierend auf der Weiterempfehlung durch bestehende Kunden und der guten Reputation des Unternehmen erreicht werden konnten.
Grundsätzlich basiert die Earned Growth Rate auf denselben buchhalterischen Kennzahlen wie der Customer Lifetime Value. Allerdings sind für die Berechnung der Earned Growth Rate keine höheren mathematischen Kenntnisse notwendig, was dessen Anwendung um einiges praktikabler macht. Ebenfalls bezieht sich die Earned Growth Rate auf den Wert den die Organisation effektiv erhalten hat ohne auf Prognosen und Wahrscheinlichkeiten zurückgreifen zu müssen. Die Earned Growth Rate setzt die effektiven Ergebnisse der aktuellen Periode ins Verhältnis zu den Ergebnissen der Vorjahresperiode.
Im Harvard Business Review «a better system for understanding the real value of happy customers» werden für die Berechnung der Earned Growth rate nur die Erträge aus der Erfolgsrechnung betrachtet. Für kundenorientierte Unternehmen empfiehlt es sich allerdings neben den Erträgen auch die Aufwände zu berücksichtigen und die Earned Growth Rate somit auf Stufe des Gewinns anstatt des Umsatzes zu berechnen. Neben den Kennzahlen aus der Erfolgsrechnung wird bei der Berechnung der Earned Growth Rate auf die folgenden Kennzahlen aus Marketing & Vertrieb zurückgegriffen:
- Vertragsverlängerungen (Retention)
- Vertragsausweitungen (Up- & Cross-Selling)
- Vertragskündigungen
- Vertragsschmälerungen (Reduktionen oder Rabatte)
- Neuabschlüsse
- Akquise Kosten
- Onboarding Kosten
Zudem ist es zwingend notwendig, dass die gewonnenen Neukunden nach den Beweggründen für Ihren Kauf segmentiert werden. Dabei wird zwischen folgenden Segmenten unterschieden:
- Earned customers à Weiterempfehlung & Reputation des Unternehmens
- Bought customers à Promotionen, Werbung, Verkauf
Die Earned Growth Rate zeigt, wie viel Wachstum durch bestehende Kunden die unserem Unternehmen treu bleiben (Kundenbindung), mehr von den bereits gekauften Leistungen bei uns kaufen (Up-Selling), oder weitere Leistungen bei uns kaufen (Cross-Selling), sowie unser Unternehmen an Ihre Freunde weiterempfehlen wodurch weiteres Wachstum für unser Unternehmen entsteht (effektive Weiterempfehlung). Earned Growth besteht dementsprechend aus zwei zu unterscheidenden Elementen:
- Net Revenue Retention (NRR)
- Earned New Customers (ENC)
Die Net Revenue Retention (NRR) bezieht sich auf die Komponente Kundenbindung und drückt aus, wie viel des Gewinns der aktuellen Periode durch Kunden erwirtschaftet wurde, die bereits in der vorherigen Periode unsere Kunden waren. Die Kennzahl wird prozentual im Verhältnis zur Vorjahresperiode ausgedrückt. Zur Berechnung der Net Revenue Retention werden die Kennzahlen von Vertragsverlängerungen (Retention), Vertragsausweitungen (Up- und Cross-Selling), sowie Vertragskündigungen und Vertragsschmälerungen (Reduktionen und Rabatte) berücksichtigt.
Die Kennzahl Earned New Customer (ENC) drückt die Erträge von Neukunden der aktuellen Periode aus, welche durch die Weiterempfehlung von bestehenden Kunden und die gute Reputation des eigenen Unternehmens gewonnen werden konnten. Hierbei gilt es nachdrücklich darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist die Gründe für den Kauf der Neukunden zu erforschen.
Um nun basierend auf diesen Kennzahlen die «Earned Growth rate» zu bestimmen, werden Net Revenue Retention und Earned New Customers addiert und dann 100% subtrahiert.
Die «Earned Growth rate» misst dementsprechend das Ertragswachstum, welches durch die Ausweitung der Beziehung zu bestehenden Kunden und deren Weiterempfehlung an neue Kunden sowie durch die Begeisterung von bestehenden Kunden resultiert.
Die meisten Unternehmen unterschätzen noch immer die Wichtigkeit von Weiterempfehlungen. Die Weiterempfehlung wird oft nur als die Kerze auf dem Kuchen betrachtet, dabei sollten Unternehmen mittlerweile verstehen, dass die Weiterempfehlung eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste, Zutat des Rezepts ist. Untersuchungen von Bain & Company zeigen zudem, dass «earned new customers» meist um ein Vielfaches profitabler sind als «bought new customers», welche aufgrund der hohen Akquisitionskosten und kurzen Beziehungsdauer oft sogar verlustreich für das Unternehmen sind.
Bain & Company hat die Aufsichtsbehörden dazu aufgefordert, Earned Growth in die GAAP-Kennzahlen aufzunehmen. Buchhalterische Kennzahlen wie Goodwill und Amortisation, welche bei weitem nicht so wertvolle Erkenntnisse liefern wie Earned Growth, werden durch GAAP vorgeschrieben. Ob Earned Growth ebenfalls zu einer verpflichtenden Finanzkennzahl werden wird, wird die Zukunft zeigen. Dass die Verbesserung der Kundenorientierung unserer Wirtschaft gut tun würde steht ausser Frage.
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