Vertrieb in Industrie 4.0. – von Lema Javier.
Vertrieb in Industrie 4.0.: Die Digitalisierung und Industrie 4.0 bieten uns Schweizer Maschinen- und Anlagenbauern enorme Chancen, neue Wachstumspotenziale im Vertrieb zu erschliessen. Unternehmen, die sich jetzt intensiv damit auseinandersetzen, können sich entscheidende Vorteile im Wettbewerb sichern. Obwohl es eigentlich schon spät ist, wenn man bedenkt, dass der Begriff Industrie 4.0 erstmals 2011 eingeführt wurde und Industrie 5.0 bereits vor der Tür steht.
Warum ist Industrie 4.0 so wichtig für den Vertrieb?
Die Studie «Zukunft Industrie 2023» vom Beratungsunternehmen Staufen AG hat über 400 Industriebetriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefragt, was für sie wichtig ist und wo sie ihre Chancen sehen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Digitalisierung steht für die meisten Unternehmen ganz oben auf der Prioritätenliste. 86 % der Unternehmen wollen damit vor allem effizienter werden und 75 % erwarten mehr Transparenz in den Betriebsabläufen und Prozessen. Die grössten Chancen liegen aber in völlig neuen, digitalen Geschäftsmodellen, was aber erst jeder Dritte verstanden hat. Genau hier stecken jedoch riesige Chancen für mehr Umsatz im Vertrieb. Die Studie zeigt auch, wo man ansetzen muss: Produktion, Lieferkette und Logistik haben aktuell das grösste Potenzial für die Digitalisierung.
Mit Lean Management den Grundstein für Industrie 4.0 legen
Ganz wichtig ist: Bevor man Abläufe digitalisiert, müssen sie zuerst verschlankt und standardisiert werden. Lean Management ist die Basis für Industrie 4.0. 94% der befragten Unternehmen sehen Lean heute als wichtiger denn je, um effizienter und zukunftsfähig zu werden. Über die Hälfte der Unternehmen hat die Lean-Prinzipien schon fest in ihrer Wertschöpfung verankert.
Kunden mit intelligenten Lösungen begeistern
Wenn man erst mal eine schlanke, effiziente Produktion hat, kann man mit Industrie 4.0 wirklich beeindruckende neue Lösungen für die Kunden entwickeln. 73 % der Unternehmen haben bereits intelligente, vernetzte Produkte und Services im Angebot. Der enge Austausch mit den Kunden wird immer wichtiger, um massgeschneiderte Angebote zu machen, die einen echten Mehrwert bringen. Dafür müssen Vertrieb, Entwicklung und Produktion enger zusammenarbeiten. Reibungslose Abläufe und Echtzeit-Daten ermöglichen es, schnell und flexibel auf Kundenwünsche zu reagieren. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz eröffnen zusätzliche Chancen für innovative Value Added Services auf Basis von Daten. Zum Beispiel kann eine Maschine mit niedriger Effizienz durch die Analyse von Maschinenfehlern, bereits ausgewechselter Ersatzteile und durchgeführter Servicearbeiten dem Bediener eine detaillierte Auflistung von Arbeiten übermitteln, die die Effizienz steigern sollten. Durch die Internetanbindung kann ein Experte, der online zugreift, weitere Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren und so die KI mit menschlichem Wissen ergänzen. Der Mehrwert, der durch eine Steigerung der Overall Equipment Effectiveness (OEE) einer Produktionsanlage von unter 60 % auf über 85 % erzielt wird, ist besonders erheblich, selbst wenn die Anlage nur im Schichtbetrieb von 8 Stunden produziert. Laut der Studie «Zukunft Industrie 2023» betrachten 86 % der Unternehmen die Steigerung der Effizienz als aktuelle Herausforderung, die sie durch Digitalisierung angehen wollen.
Quelle: Staufen AG (2023). Studie «Zukunft Industrie 2023». Köngen.
Die Kundenseite im Blick
Manche Kunden wollen Industrie 4.0 im Moment nur umsetzen, weil es staatliche Vorschriften oder Subventionen gibt. Sie erkennen noch nicht, was es ihnen wirklich bringt und wie stark es sie macht. Hier sind wir als innovative Maschinenbauer gefragt. Wir müssen unseren Kunden in der Produktion verdeutlichen, dass sie Industrie 4.0 brauchen, um im heutigen Wettbewerb zu bestehen. Nur so können sie ihren eigenen Kunden einen Mehrwert bieten und sich von der Konkurrenz abheben.
Denn Industrie 4.0 bietet enorme Chancen für alle im Vertrieb, in der Produktion und für die Endkunden. Mit intelligenten, vernetzten Lösungen können Produktivität und Effizienz gesteigert, Kosten gesenkt und gleichzeitig individuelle Produkte zum Preis von Massenware hergestellt werden. Wer das jetzt nicht begriffen hat, wird es in Zukunft schwer haben.
Negative Aspekte und Risiken von Industrie 4.0
1. Hohe Investitionskosten
Laut der Studie „Zukunft Industrie 2023“ der Staufen AG gibt es zahlreiche Risiken und Herausforderungen bei der Einführung von Industrie 4.0. Ein wesentliches Problem sind die hohen Investitionskosten. Fast die Hälfte der Unternehmen hat neue Digitalisierungsprojekte gestartet, obwohl viele unsicher sind, ob sich diese Investitionen lohnen, insbesondere wenn bestehende Anlagen noch nicht abgeschrieben sind.
2. Komplexität der Implementierung
Die Implementierung ist komplex und erfordert umfassende Anpassungen der Organisationsstrukturen und Prozesse, was oft zu internen Widerständen führt. Viele Unternehmen konzentrieren sich zunächst auf Effizienzsteigerungen, und nur ein Drittel denkt bereits an neue Geschäftsmodelle.
3. Mangel an qualifizierten Fachkräften
Ein weiterer großer Engpass ist der Mangel an qualifizierten Fachkräften. Laut der Studie betrachten 40 % der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als grosse Herausforderung.
4. Risiko von Cyberangriffen
Gleichzeitig erhöht die zunehmende Vernetzung das Risiko von Cyberangriffen. Nur etwa die Hälfte der Unternehmen identifiziert ihre Risiken systematisch, was auf erhebliche Lücken im Risikomanagement hinweist.
5. Widerstände gegen Veränderungen
Widerstände gegen Veränderungen sind ebenfalls ein grosses Hindernis. Viele Mitarbeiter haben Vorbehalte gegenüber den Änderungen, die Industrie 4.0 mit sich bringt, insbesondere wenn diese Arbeitsplatzverluste oder tiefgreifende Änderungen in der Arbeitsweise bedeuten. Effektives Change Management ist daher entscheidend.
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6. Schwierige Quantifizierung des Returns on Investment (ROI)
Der Return on Investment (ROI) ist oft schwer zu quantifizieren. Nur 38 % der Unternehmen haben eine eigene Datenstrategie für ihr Supply-Chain-Netzwerk, was darauf hinweist, dass viele Unternehmen noch keine klaren Finanzprognosen erstellen können.
7. Digitale Zweiklassengesellschaft
Die Studie zeigt auch eine digitale Zweiklassengesellschaft: Nur 49 % der Unternehmen treiben das Thema aktiv voran, während 16 % keinen Zugang zur Digitalisierung finden. Dies führt zu Wettbewerbsnachteilen.
Ein Blick nach vorn: Von Industrie 4.0 zu Industrie 5.0
Unternehmen, die bei Industrie 4.0 schon gut aufgestellt sind, werden auch den Sprung zu Industrie 5.0 leichter schaffen. Bei Industrie 5.0 geht es im Kern darum, die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu optimieren, Lösungen zu individualisieren und Nachhaltigkeit stärker zu berücksichtigen.
– Human Centricity
– Sustainability
– Resilience
Wer die Digitalisierung bereits konsequent gelebt hat, kann sich schneller auf diese neuen Anforderungen einstellen. Mit einer flexiblen und anpassungsfähigen Produktion im Hintergrund können veränderte Kundenbedürfnisse effizienter bedient und neue Chancen schneller genutzt werden.
Den digitalen Wandel ganzheitlich angehen
Man darf Industrie 4.0 nicht isoliert betrachten. Sie muss Teil einer umfassenden Strategie sein, welche die Unternehmen zukunftsfähig macht. Dazu gehört auch das Thema Nachhaltigkeit. Mit digitalisierten, ressourcensparenden Abläufen kann man umweltfreundliches Wachstum erreichen. Gleichzeitig werden Unternehmen durch Industrie 4.0 widerstandsfähiger und können sich besser an unvorhergesehene Ereignisse und Veränderungen anpassen. Das eröffnet auch grosse Chancen im Aftersales, wenn Kunden die Möglichkeiten von Industrie 4.0 konsequent nutzen:
- Effizienter produzieren durch vorausschauende Wartung: Wenn man Maschinendaten richtig erfasst und auswertet, können Stillstände durch vorbeugende Instandhaltung vermieden werden. So lassen sich Anlagen effizienter betreiben und die Produktivität steigern.
- Höhere Anlagenverfügbarkeit durch Fernwartung: Vernetzte Maschinen und Anlagen können aus der Ferne überwacht und bei Störungen schnell wieder in Betrieb genommen werden. Experten müssen nicht erst anreisen, sondern können direkt auf die Systeme zugreifen und Probleme beheben. Das reduziert Ausfallzeiten und sichert die Verfügbarkeit.
- Bessere Ersatzteilversorgung durch vernetzte Logistik: Wenn man Bestandsdaten und Verbrauchsmuster von Ersatzteilen digital erfasst und analysiert, können Lieferengpässe vermieden werden. Teile können bedarfsgerecht beschafft und bevorratet werden. Im Servicefall sind sie dann schnell verfügbar, was Stillstandzeiten verkürzt.
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Vernetzte Produkte und Produktionsanlagen bieten also enorme Potenziale für einen effizienteren Betrieb und besseren Service. Voraussetzung ist aber, dass die Daten sinnvoll genutzt und in konkrete Massnahmen umgesetzt werden. Hier können wir unsere Kunden gezielt unterstützen und gemeinsam passgenaue Lösungen entwickeln.
Der Maschinen- und Anlagenbau befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Umbruchs. Politische, technologische, ökologische und gesellschaftliche Faktoren zwingen zum Umdenken. Nur wer seine Abläufe konsequent auf die Anforderungen der Zukunft ausrichtet, kann im globalen Wettbewerb langfristig bestehen. Das Thema Industrie 4.0 spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn es ist die Grundlage für erfolgreiche Geschäftsmodelle im digitalen Zeitalter.
Fazit
Für den Schweizer Maschinen- und Anlagenbau bietet die Digitalisierung enorme Chancen, um neue Wachstumspotenziale im Vertrieb zu erschliessen. Lean und digital gut aufgestellte Unternehmen können mit intelligenten, kundenorientierten Lösungen punkten und sich so Vorteile gegenüber der Konkurrenz sichern. Sie sind auch für den nächsten Schritt zu Industrie 5.0 bestens gerüstet.
Wer die Möglichkeiten von Industrie 4.0 jetzt entschlossen nutzt und auch Kunden davon überzeugt, wird die Zukunft prägen. Es gilt, diesen Wandel aktiv zu gestalten und die Chancen für profitables Wachstum auf allen Ebenen zu ergreifen.