Dimensionen der Kundenorientierung von Barbara Reusser.
In den vergangenen Jahren hat die Kundenorientierung kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Bereits in den 1990er Jahren wurde ein positiver Zusammenhang zwischen Kundenorientierung und Unternehmenserfolg nachgewiesen. Angesichts der zunehmenden Austauschbarkeit von Marken und der schnellen Nachahmung von Innovationen durch Wettbewerber bleibt oft nur eine intensivere Ausrichtung auf den Kunden als Differenzierungsmerkmal. Untersuchungen haben gezeigt, dass Unternehmen, die auf Kundenorientierung setzen, durchschnittlich eine um drei bis fünf Prozent höhere Profitabilität aufweisen.
Obwohl es einen breiten Konsens darüber gibt, dass Kundenbindung und Kundenorientierung für den Unternehmenserfolg wichtig sind, haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, ihre Strategie und Organisation entsprechend auszurichten. In den letzten Jahren lag der Fokus bei vielen Unternehmen stark auf Technologie und digitalen Innovationen. Um diese jedoch effektiv einzusetzen und gewinnbringend zu nutzen, muss Kundenorientierung sowohl als Denkweise als auch als Managementmodell, über alle Abteilungen hinweg, verstanden werden.
Der Customer Centricity Canvas kann genutzt werden, um die Kundenorientierung in vier Dimensionen aufzuschlüsseln und so ein verständliches System zur Integration und Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses innerhalb eines Unternehmens zu bieten. Die vier Dimensionen umfassen Customer Value-based Decision Making, Customer-centric Transformation, Co-Creation und Customer Management. Im Folgenden werden sie kurz beschrieben.
Quelle: Staudacher, J. (2021). Kundenorientierung – Grundlagen, Modelle und Best Practices für eine erfolgreiche Transformation. Springer Gabler Wiesbaden
Customer Value-based Decision Making
Die erste Dimension beinhaltet die gezielte Integration von wertsteigernden Kundenerkenntnissen in Organisationsentscheidungen. Dies umfasst nicht nur die systematische Nutzung von Erkenntnissen, sondern auch die fortlaufende Überwachung und Optimierung von Entscheidungen und Prozessen hinsichtlich einer angemessenen Berücksichtigung der Kundenerkenntnisse. Dabei werden Potenziale identifiziert, um Entscheidungen stärker am Kundenwert auszurichten.
Customer-centric Transformation
Kundenorientierung wird oft als reines Kundenmanagement oder gar als Customer Experience Management missverstanden. Die Verbesserung der Kundenorientierung erfordert eine Anpassung der Unternehmen an die Veränderungen im Kaufverhalten der Kunden. Dabei bezieht sich die Transformation nicht nur auf die Organisation, sondern auch auf das individuelle Wissen der Mitarbeitenden. Es ist entscheidend, Kompetenzen auf individueller Abteilungs-, Organisations- und Netzwerkebene gezielt zu steuern und kontinuierlich zu verbessern. Früher wurden spezifische Kompetenzen bestimmten Abteilungen zugewiesen. Zum Beispiel wurde der Kundenzuständigkeitsbereich der Marketingabteilung übertragen. Dies galt auch für Kundenerkenntnisse, die meist der Marktforschungs-, Online-Analytics- und CRM-Abteilung oblagen. Da Kundenerkenntnisse die Basis für eine kundenorientierte Organisation sind, ist es wichtig, die Erfassung und Nutzung von Kundenerkenntnissen in der gesamten Organisation zu verankern.
Co-Creation
Kundenorientierung zielt nicht nur auf die Interaktion mit dem Kunden im Sinne des Beziehungsmanagements ab. Mit der Co-Creation als dritte Dimension integrieren kundenorientierte Unternehmen den Kunden stark in die Werterstellung. Es ist wichtig, Kunden in die Prozesse zu integrieren, um den Wert für Kunden, aber auch für die Organisation systematisch zu steigern. Eine Möglichkeit dafür ist die Co-Creation, bei welcher Kunden ein Unternehmen beispielsweise beim Angebotsdesign, der Produktion, dem Vertrieb und dem Support unterstützen können.
Customer Management
Customer Management wird fälschlicherweise oft mit Kundenorientierung gleichgesetzt. Bevor das Kundenmanagement verbessert werden kann, müssen jedoch die Potenziale in den anderen drei Dimensionen realisiert werden. Die Wertsteigerung im Kundenbeziehungsmanagement erfolgt nur dann, wenn das Unternehmen erfolgreich transformiert wurde. Im Customer Management werden Potenziale identifiziert und geprüft wie der Wert der Kundenbeziehung für den Kunden sowie das Unternehmen verbessert werden kann.
Denkwerkstatt Sales Excellence
Praxisbeispiel: Aufbau Customer-centric Transformation eines Krankenversicherers
Das Schweizer Gesundheitssystem ist stark reguliert und kostenintensiv. Die Wertschöpfungsmöglichkeiten von Krankenversicherern sind gesetzlich sowohl in der Grund- als auch in der Zusatzversicherung begrenzt. Um sich in einem ausserordentlich regulierten Markt mit vergleichbaren Produkten behaupten zu können, ist eine Transformation hin zu einem kundenorientierten Unternehmen unabdingbar. Mit dem sich rasch verändernden Marktumfeld stand bei dem Krankenversicherungsunternehmen die Digitalisierung und Stärkung des Eigenvertriebes im Zentrum. Dabei ist Kundenorientierung nicht mit Kundenzufriedenheit oder Customer Experience gleichzusetzten. Viel mehr ist damit ein Unternehmen gemeint, welches alle seine Handlungen und Prozesse kundenorientiert darauf ausrichtet, den Wert der Kundenbeziehung für den Kunden und das Unternehmen zu verbessern. Daraus lässt sich ableiten, dass als erster Schritt ein übergeordnetes Commitment hin zu einem kundenorientierten Unternehmen nötig ist.
Ein zentraler Aspekt dieses Prozesses ist die Customer-centric Transformation. Diese beschreibt die Schaffung organisatorischer Voraussetzungen, um Kundenerkenntnisse zu verstehen und diese über die gesamte Organisation hinweg in Entscheidungen und Prozessen umzusetzen.
Podcast SalesX & Innovation
Beim Krankenversicherer wurden Massnahmen, unter Berücksichtigung des Customer Centricity Canvas, für die Transformation definiert. Nachfolgend werden sieben Bereiche mit jeweils einer Massnahme vorgestellt:
Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses für Kundenorientierung
Die unternehmenseigene Definition von Kundenorientierung wurde in einem begleiteten Workshop erarbeitet. Wichtig für den Erfolg und eine spätere Skalierung ist die Auswahl der richtigen Mitarbeitenden pro Abteilung.
Aufbau von Kompetenzen und gemeinsamer Sprache
Mit einem breiten Angebot wie Brownbag-Events, Onlineschulungen und E-Learnings wurden die Kompetenzen der Mitarbeitenden erweitert. Durch ein Wiki wird eine gemeinsame Sprache gefördert.
Anpassen der Führung und Kultur zur Stärkung der Kundenorientierung als Glaubenssatz
Um die Kundenorientierung im Unternehmen zu verankern, wurden dem Kader Instrumente für ein erfolgreiches Changemanagement an die Hand gegeben. In Workshops wurde auf die Verankerung der Kundenorientierung als Glaubenssatz hingearbeitet.
Anpassung des Zielsystems
Das Zielsystem musste angepasst werden, da es bislang primär auf Neukundenakquise ausgerichtet war. Nun wird dem Customer-Firm Value, also dem Wert einer Beziehung für den Kunden und das Unternehmen, eine grosse Bedeutung zugemessen.
Anpassung der Struktur und Prozesse zur Stärkung der Kundenorientierung
Entscheidungsprozesse werden systematisch auf die Berücksichtigung von Kundenerkenntnissen geprüft und ihr Einfluss auf die Kundenorientierung bewertet.
Optimierung von Schnittstellen und der Zusammenarbeit der Abteilungen
Durch Jobrotation wurde das gegenseitige Verständnis für die Herausforderungen der einzelnen Abteilung gefördert. Durch den Aufbau von gemischten Teams konnten Silos abgebaut werden.
Anpassung der IT-Infrastruktur und der IT-Systeme
Das CRM-System liefert dem Vertrieb Handlungsempfehlungen und Segmentierungen sowie mögliche Inhalte je Segment.
Diese Massnahmen der Dimension Customer-centric Transformation schaffen die Basis für die weiteren Dimensionen und die Ausrichtung auf ein kundenorientiertes Unternehmen.