Digitalisierung im Einkauf – von Christoph Schlegel.
Die Digitalisierung im Einkauf erfolgt schrittweise, wird jedoch vom Vertrieb kaum wahrgenommen und unzureichend genutzt. Angesichts des bereits hohen und weiter steigenden Anteils eingekaufter Waren und Dienstleistungen an den Umsatzkosten ist dies ein besorgniserregender Befund. Dies führt häufig zu Fehlinterpretationen der Anforderungen.
Welche Herausforderungen bringt die zunehmende Digitalisierung im Einkauf für den Vertrieb mit sich? Die Antwort auf diese Frage wird darüber entscheiden, ob und wie der Vertrieb künftig noch Geschäfte in einer sich wandelnden Einkaufswelt tätigen kann. Problematisch ist dabei, dass die Digitalisierung im Einkauf nicht plötzlich, sondern schleichend voranschreitet. Durch die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft ändern sich Kundenbedürfnisse und die Wettbewerbssituation der Unternehmen. Besonders der Einkauf ist als Schnittstelle zur Supply Chain von grosser Wichtigkeit. Der Forschungsbestand hierzu ist aktuell allerdings noch ausbaufähig (Bienenhaus und Haddud 2018).
Die Frage lautet nicht, ob die Digitalisierung im Einkauf weiter voranschreitet, sondern in welcher Dynamik und Gestalt.
Die erwarteten Vorteile sind dabei vielfältig:
- Besserer Datenaustausch und erhöhte Datentransparenz
- Intelligente Datenanalyse
- Plattformen zur effektiveren Kooperation
- Verringerter Personalbedarf
Jedoch stehen diese Potenziale der Vorbehalte seitens der Mitarbeiter, mangelnder digitalen Kompetenzen oder fehlenden Ressourcen zur Digitalisierung gegenüber. Zusätzliche Nachteile liegen im Bereich Datensicherheit sowie Cyber-Security für die Produktion allgemein. Höheren Risiken in der Supply Chain aufgrund zunehmender Digitalisierung stehen allerdings auch bessere Möglichkeiten des Risikomanagements gegenüber (Butner, 2010).
Quelle: Digitalisierung im Einkauf fordert Vertrieb heraus (econstor.eu)
Laut vorliegenden Experteninterviews ist eine theoretische Definition der Digitalisierung nicht präsent. Hingegen definieren sie diese vor allem anhand der Veränderungen, welche sie in der täglichen Praxis erwarten, wobei die Automatisierung von Prozessen an erster Stelle steht. Bei den Zielen gibt es jedoch grosse Übereinstimmungen, so dass diese für den operativen sowie für den strategischen Einkauf gegliedert werden können. Der operative Einkauf konzentriert sich hauptsächlich auf die Optimierung der Prozesskosten, während der strategische Einkauf vor allem die Zusammenarbeit mit Lieferanten, die Förderung gemeinsamer Innovationen und, in zweiter Linie, die Integration von Prozessen in der Lieferkette im Blick hat. Dies wird durch verbessertes Datenmanagement und E-Sourcing unterstützt.
Als häufigstes Ziel der Digitalisierung wird im operativen Einkauf die Kosteneinsparung durch Steigerung der Prozesseffizienz genannt, welche auch die Fehlervermeidung anstrebt. Bessere Einkaufskonditionen ist dabei ein weiteres Ziel. Durch Vernetzung werden auch die Prozesskosten beim Lieferanten gesenkt und ein schlankerer Anfrageprozess ermöglicht die Berücksichtigung mehrerer Lieferanten. Dadurch entwickelt sich der Einkauf vom reinen Materialbeschaffer zum Wert- und Innovationstreiber im Unternehmen und schafft so einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.
Alle Befragten sind sich einig, dass eine der wichtigsten Chancen der zunehmende Datenaustausch ist, da dieser mehr Transparenz sowie schnellere Kommunikation und Verfügbarkeit der Informationen wodurch sich die TCO (Total Cost of Ownership) besser ermitteln lassen.
Neben den Chancen ergeben sich auch Risiken und Grenzen für die Digitalisierung im Einkauf. Bei einem zu erwarteten Stellenabbau im Einkauf wird hauptsächlich der operative Einkauf betroffen sein. Es ist fraglich, inwiefern das freiwerdende Personal eingesetzt oder umgeschult werden kann. Laut einer quantitativen Studie erwarten jedoch lediglich 4,4% der Befragten, dass der strategische Einkäufer durch IT-Lösungen teilweise ersetzt wird (Bogaschewsky und Müller, S.122).
Ein wichtiges Thema ist die Vision von Digitalisierung im Einkauf der Beteiligten. Vor allem operative Prozesse werden voll- oder teilautomatisiert sein, wodurch der operative Einkäufer von Morgen IT-Kenntnisse benötigt, um die digitalen Systeme zu bedienen und warten können. Er wird vom klassischen Besteller zum digitalen Manager.
Digitalisierung beim Unternehmen XY und Handlungsempfehlung
Die Digitalisierung ist Teil der schleichenden Entwicklung des Einkaufs vom transaktionalen Besteller bzw. Kostendrücker zum Wertgenerator. Diese Entwicklung verläuft bei den Kunden individuell mit verschiedenen Geschwindigkeiten und Reifegrad. Der Ansatzpunkt für den Vertrieb besteht darin, die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden zu erkennen und die eigenen Leistungsangebote daran auszurichten. Die Kunden haben stets höhere Erwartungen der Integrationsfähigkeit und Bereitschaft zum Datenaustausch, insbesondere Echtzeitdaten sind wesentlich für die Kunden und führen zu einem Wettbewerbsvorteil der Unternehmung XY. Die Gefahr besteht, dass man ersetzt wird, wenn die Bereitschaft zum Datenaustausch oder Digitalisierung nicht vorhanden ist.
Speziell für kleinere Kunden mit geringem Digitalisierungsgrad im Einkauf kann die Unternehmung XY Digitalisierung als Dienstleistung anbieten und dadurch echten Mehrwert vom Mitbewerber differenzieren. Die Kunden erwarten Funktionen mit individuellem Mehrwert statt «überdigitalisierte» Produkte, welche immer komplexer in der Anwendung werden und keine Rücksicht auf die Belange der Kunden nehmen.
Der Vertrieb der Unternehmung XY muss sich in Zukunft in fünf zentrale Handlungsfeldern – 1. Organisation, 2. Mitarbeiter, 3.Produkte und Dienstleistungen, 4. Vernetzung Prozesse und Systeme, sowie 5. Daten – optimal auf die Bedürfnisse der einkaufenden Organisationen einstellen.
- Organisation – Auf diese sollte er entsprechend reagieren, indem auch der Vertrieb die operativen Prozesse zur Bestellabwicklung automatisiert und wenn möglich autonom gestaltet. Dadurch können die Prozesskosten gesenkt und die Durchlaufzeiten deutlich verringert werden. Der Mehrwert muss ebenfalls an den Kunden weitergegeben werden. Die Änderung der Ablauforganisation muss die Aufbauorganisation widerspiegeln.
2. Mitarbeiter – Im Innendienst werden künftig Mitarbeiter mit hoher IT-Affinität benötigt, welche diverse Anwendungen und Tools bedienen und gegebenenfalls warten können. Der Personalbedarf wird dabei vermutlich sinken (Glas und Kleemann 2016, S.60). Für den Vertriebler mit Kundenverantwortung werden sich ebenfalls grundlegende Änderungen ergeben Diese leiten sich vom Handlungsfeld «Vernetzung mit Kunden und angebotenen Produkte und Dienstleistungen» ab.
3. Produkte und Dienstleistungen – Der Vertriebler muss weiterhin unverändert eng am Kunden sein und in Erfahrung bringen, womit dem Kunden ein Mehrwert geboten werden kann. Der Vertrieb muss differenzieren können, ob der Kunde auf Digitalisierung seiner operativen Einkaufsvorgänge abzielt oder ob ihm die Ziele des strategischen Einkaufs am Herzen liegen. Für die Produkte und Dienstleistungen ist es von zentraler Bedeutung, diese nicht um jeden Preis zu digitalisieren, sondern den Mehrwert im Auge zu behalten. Bedienbarkeit und Funktionalität müssen hier optimal vereint sein.
4. Vernetzung Prozesse und Systeme – Von entscheidender Bedeutung werden die Art der Kommunikation und der Grad an Vernetzung sein. Der Vertriebler kann nicht mehr nur über das Beschaffungsobjekt verhandeln, sondern muss auch den Beschaffungsvorgang mit dem grössten Mehrwert für den Kunden ermitteln. Das Unternehmen muss so aufgestellt sein, dass es flexibel auf die Anforderungen der Kunden reagieren und diese umsetzen kann. Darüber hinaus müssen Fachleute für die Konfiguration von Schnittstellen oder die Implementierung von Tools und Plattformen verfügbar sein.
5. Daten – Das Unternehmen muss in der Lage sein, umfangreiche interne Daten zu erfassen und zur Verfügung zu stellen, welche den Kunden einen Mehrwert bieten können. Werden Daten innerhalb des Unternehmens auf breiter Basis erfasst und ausgewertet, schafft dies für den Vertriebler gleichzeitig ein stabiles Fundament für Verhandlungen mit seinem Kunden. Die Unternehmung muss in der Lage sein, vom Kunden bereitgestellte Daten zu empfangen und sinnvoll verarbeiten können.
Abschliessend ist festzuhalten, dass es keine Frage ist, ob sich der Vertrieb mit diesen Entwicklungen beschäftigen sollte, sondern wann und mit welchem Ressourceneinsatz.