Lean and Value Selling: Die Anwendung von Lean-Prinzipien im mehrwertorientierten Verkauf von Kathleen Kretzschmar.
Im Vertrieb gilt oft das Prinzip, dass mehr besser ist. Viele Vertriebsmitarbeiter folgen dieser Devise. Die zugrunde liegenden Gedanken sind eigentlich richtig, Motivation und Fleiss spielen im Vertrieb eine wichtige Rolle. Vertriebsmitarbeiter müssen kontinuierlich am Ball bleiben, Geduld aufbringen und stets ihre Ziele im Blick behalten. Dadurch bleibt jedoch wenig Zeit, bestehende Prozesse zu überdenken und nach neuen Wegen zu suchen, die den Arbeitsalltag effektiver und zielgerichteter gestalten könnten und dem Kunden Mehrwert bieten. Viele der Prinzipien, die dem Lean Thinking zugrunde liegen, sind die Grundlage für einen effektiven, mehrwertorientierten Vertrieb. Betrachtet man beide Definitionen der Begrifflichkeiten Lean = „schlank“ und Value Added = „Mehrwert generierend“, ahnt man bereits, welche Synergien aus der Verschmelzung beider scheinbar gegensätzlicher Philosophien hervorgehen könnten. Somit zeigt sich, dass die Kombination aus Lean and Value Selling an Stellenwert gewinnt.
Quelle: Reilly, Tom: “Lean thinking and value-added selling”, (Nov. 2009)
Lean Thinking ist die Übertragung und Anwendung der ursprünglich aus der Automobilindustrie stammenden Lean-Prinzipien auf alle Organisationsbereiche eines Unternehmens. Es gilt als eine Geschäftsphilosophie, die darauf abzielt, Verschwendung in allen Unternehmensprozessen zu reduzieren und eine kontinuierliche Verbesserung zu leben. Im Kontext der kundenzentrierten Ausrichtung aller Prozesse konzentriert sich Lean Thinking u.a. auf die Schaffung eines reibungslosen und effektiven Arbeitsablaufs, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Kundschaft.
Durch Lean Thinking strebt ein Unternehmen nach schlanken und agilen Prozessen, um eine höhere Qualität, schnellere Lieferzeiten und geringere Kosten zu erreichen. Es beinhaltet die Analyse und Optimierung von Prozessen, die Beseitigung von Hindernissen und die Fokussierung auf Wertschöpfung. Im Value Added Selling liegt der Fokus darauf, die eigenen Leistungen oder Produkte basierend auf ihrem Nutzen für den Kunden zu positionieren. Der Mehrwert für Kunden soll dabei sowohl deutlich sichtbar als auch verständlich kommuniziert werden. Dabei wird angestrebt, dass Kunden ein verbessertes Wertempfinden haben und den höheren Nutzen bewusst wahrnehmen, was sie auch bereit macht, am Ende einen höheren Preis zu akzeptieren.
Ein gutes Vertriebsteam sucht aber auch nach dem Mehrwert für das Unternehmen: Im mehrwertorientierten Verkauf besteht die Herausforderung darin, kostenerhöhende (meist administrative) Handlungen möglichst klein zu halten, die keinen Mehrwert bringen oder den Wettbewerbsvorteil kaum oder gar nicht erhöhen. Dazu zählen unzählige Angebotserstellungen, unnötiger „Papierkram“, Einhaltung von starren Prozessen und Vertragsgrundlagen usw. Ein zielorientierter Verkäufer sucht konkret die Optimierung von Kundeninteraktionen. Beide Philosophien verfolgen strikt den Gedanken der Effektivität. Mehrwertorientierte Verkäufer verschwenden wenig Zeit damit, Geschäfte zu tätigen, die keinen Mehrwert für ihr Unternehmen generieren. Lean-Denker verschwenden wenig Zeit damit, Prozesse, Systeme und Projekte zu verfolgen, die für ihr Unternehmen kaum einen Mehrwert bieten. Was also auf den ersten Blick gegensätzlich erscheint, kann in Wirklichkeit als ergänzende Geschäftsstrategie dienen. Die Kombination aus Lean and Value Selling bietet zahlreiche Vorteile.
Denkwerkstatt Sales Excellence
Wie macht es IKEA?
Ikea hat eine Designphilosophie, die auf funktionaler Einfachheit und Ästhetik basiert. „Unser Bestreben ist es, Produkte zu entwerfen, die ein schönes Design haben, gut funktionieren, nachhaltig sind, eine gute Qualität aufweisen und zu einem niedrigen Preis erhältlich sind.“ Ikea selbst nennt es demokratisches Design und vereint damit die Kombination von Funktion, Qualität, Form und Nachhaltigkeit zu einem für beide Seiten attraktiven Preis. Um nur drei Beispiele der Anwendung zu nennen:
- Innovation und Funktionalität: Ikea legt Wert auf praktische und funktionale Designs des täglichen Lebens. Die Produkte werden kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert.
- Selbstmontage: die Möbel werden in flachen Paketen verkauft und können durch die Kunden selbst montiert werden. Dies ermöglicht neben einer kostengünstigen Produktion und einem einfachen Transport auch und eine grössere Produktauswahl.
- Nachhaltigkeit: Ikea setzt sich für umweltfreundliche Praktiken ein und verwendet grösstenteils erneuerbare Materialien, reduziert Abfall und setzt in der Produktion auf Energieeffizienz.
Diese Aspekte des Ikea-Konzepts sind Teil der Identität und des Erfolgs der Marke. Ganz im Sinne des Lean Thinking Gedanken kann Ikea im Laufe der Zeit neue Initiativen und Strategien einführen, um sich den verändernden Bedürfnissen seines Umfeldes anzupassen.
Lean and Value Selling in der Fensterbranche
Bei der Gewinnung von neuen Absatzmittlern wie Schreinern oder Fensterbauern stehen Systemlieferanten vor der Herausforderung die passenden Partnerfirmen zu identifizieren, Vertrauen und langfristige Kooperationsbeziehungen aufzubauen und gleichzeitig eine nachhaltige Wertschöpfung für beide Seiten sicherzustellen. Wie eingangs bereits ausführlich beschrieben, gilt es im Sinne der Verschmelzung von Lean Thinking und Value Added Selling in vier Schritten Verschwendungen im Vertriebsprozess zu identifizieren, Kundenbedürfnisse und -anforderungen genauestens zu analysieren, Vertriebsprozesse auf Basis der Partneranforderungen zu gestalten und diese kontinuierlich zu verbessern.
Durch den Einsatz von Lean-Methoden wie Value Stream Mapping kann in einem ersten Schritt gut nach Prozessschritten im Partnervertrieb gesucht werden, die als Verschwendung identifiziert und eliminiert werden können. Besonders bei der Gewinnung neuer Systemabnehmer ist die Lieferung von nachhaltigen Lösungen mit langfristigem Wert matchentscheidend. Als Systemlieferant bedeutet dies in Schritt 2, genauestens die Bedürfnisse der Partner zu erkennen und auf diese einzugehen. Weg vom reinen Produktverkauf hin zum echten Lösungs- und Mehrwertverkauf. In diesem Kontext gilt es für den Verkaufsberater mit dem potentiellen Fensterbauer alle Fragen nach dem möglichen Mehrwert detailliert zu besprechen:
- Verstehe ich das Geschäftsfeld meines Fensterbauers, um einschätzen zu können, welche Produkte, Dienstleistungen und Systemlösungen für ihn relevant sind?
- Welche Absatz-/Ziele möchte er in den nächsten 3 Jahren erreichen?
- Was hindert ihn aktuell daran, seine Produktion zu erhöhen, um noch erfolgreicher zu sein?
- Wofür konkret braucht er eine Lösung?
- Welche Anforderungen sollte die Lösung aus Partnersicht erfüllen?
- Womit versucht er sich (bisher) in seiner Region von seinen Wettbewerbern zu unterscheiden?
Alles in allem muss es dem Partner so einfach wie nur möglich gemacht werden, das Geschäft zu tätigen. Dies bedingt eine klare und einfache Kommunikation. Einen vereinfachten Bestellprozess mit einem intuitiven Bestellsystem. Transparente Preise und Konditionen (klare und einheitliche Informationen über Rabatte, Lieferzeiten, Zahlungsbedingungen) usw. Aus den Antworten auf diese und viele weitere Fragen leitet in Schritt 3 der Verkaufsberater den für den Partner tatsächlichen Mehr-Nutzen ab. Besonders Partnerfirmen, die als Systemabnehmer auftreten, interessiert die reinen Anschaffungskosten meist nur am Rande. Wichtiger sind für sie:
- Erfüllt die vorgeschlagene Lösung ihre Ziele?
- Wie hoch sind die Gesamtkosten im Laufe der Nutzungsdauer, insbesondere für das erworbene Werkzeug?
- Welche Ausgaben entstehen für Material und Energie?
- Wie hoch ist der Wartungsaufwand in Bezug auf Zeit und Kosten?
- Wie aufwändig ist das Umrüsten und / oder Aktualisieren?
- Wieviel Schulungsaufwand ist für ihre Mitarbeiter nötig?
- usw.
Podcast SalesX & Innovation
Kostengünstige Vorteile für den Partner bieten, heisst nicht unbedingt, den niedrigsten Preis anzubieten. Geringe Kosten bedeuten nicht einen niedrigen Preis, genauso wenig wie Mehrwertverkauf nicht bedeutet, den höchsten Preis für etwas zu verlangen. Es bedeutet die Suche nach einer Gesamtlösung, die für den Fensterbauer und den Systemgeber oder Profilhersteller finanziell ausgewogen ist. Die Kernfrage lautet immer: Was will und braucht der Kunde wirklich?
Das Feedback der Partner muss regelmässig eingeholt und ausgewertet werden, um den Vertriebsprozess kontinuierlich zu optimieren, ganz im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung – dem wichtigsten und vierten Schritt. Neben der Schaffung standardisierter Vorlagen für Angebote, ist es wichtig, Partnerverkäufer kontinuierlich zu schulen, um die Effizienz und Qualität von Angeboten und Verträgen zu steigern und sicherzustellen, dass Verschwendung nicht wieder auftritt. Lean Thinking erfordert eine Veränderung der Unternehmenskultur, hin zu einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung, des Teamworks zwischen Systemgeber und -abnehmer. Hier müssen gemeinsam mit dem Partner reibungslose Übergänge zu Veränderungen geschaffen werden. Dies erfordert Schulungen aller Mitarbeiter bis hin zum Monteur, Coaching und eine klare Führung für die erfolgreiche Umsetzung. Für Unternehmen, die Lean Thinking auf operativer Ebene verfolgen, ist Value Added Selling die entsprechende Philosophie auf Feldebene. In beiden Richtlinien ist festgelegt, mehr von dem zu tun, was einen Mehrwert bietet, und weniger von dem, was keinen Mehrwert bietet. Bei beiden steht der Kunde im Mittelpunkt.