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Gastvortrag Amorelie

Über den Gastvortrag Amorelie innerhalb der Denkwerkstatt Kundenorientierung berichtet Vera Süssli

Dies ist der letzte Beitrag zur Denkwerkstatt Kundenorientierung 2021. Die Studierenden hatten die Freude, Einsichten und Best Practices von Inga Bohn in ihre Arbeit als Customer Centricity Verantwortliche von Amorelie zu erhalten.

Amorelie wurde 2012 von Lea-Sophie Cramer und Sebastian Pollock gegründet. 2013 wurde der Shop lanciert, der nicht wie eine digital gewordene Version von Bahnhof-Erotikshops daherkommen, sondern gehobenen Lifestyle und Lebensfreude vermitteln sollte. Anders als die Sex-Shops, die man bis dahin kannte, richtete sich Amorelie von Beginn weg an Frauen. Eine Zielgruppe, welcher der Sinn vielmehr nach Ästhetik als nach Vulgarität steht. Amorelie vermeidet auch bewusst die bis heute so omnipräsente Objektifizierung der Frau.

Inga Bohn sagt selbstbewusst, Amorelie hätte zur Enttabuisierung der Sexualität und der Beliebtheit von Sextoys beigetragen. Möglicherweise war es auch einfach ein Zeichen der Zeit, dass man Sexshops digitalisierte – wie fast alle anderen Geschäfte eben auch. Als ein First-Mover liess der Erfolg jedenfalls nicht lange auf sich warten. 2015 kaufte die ProSiebenSat1 Gruppe 75% der Unternehmensanteile. 2016 erreichte Amorelie den Break-Even mit 450’000 Euro Gewinn bei 36 Mio. Umsatz.

Inga Bohn erwähnt es als Tabubruch, dass der Deutsche Retailer «dm» seit 2017 Amorelie-Produkte in seinen Regalen stehen hat. In der Schweiz ist mir bisher noch nie ein Vibrator in einem Haushaltswarengeschäft oder Supermarkt untergekommen, bestellen konnte man diese «Massagegeräte» aber schon vor zwanzig Jahren – in «Hausfrauen»-Katalogen. Das erfolgreiche Konzept Amorelie wurde in der Schweiz bereits kopiert, unter sehr ähnlichem Namen, ähnlichem Design und mit praktisch identischer Benutzerführung. Ein Riesenkompliment, wenn man so will.

«Sexually fullfilled humans everywhere»

Unternehmensmotto

Natürlich darf eine Amorelie Mitarbeiterin, ein Amorelie Mitarbeiter, nicht von der Prämisse ausgehen, dass sexuelle Befriedigung nur durch einen «significant other» erreicht werden kann. Die meisten der über 4’000 (!) Produkte im Shop können von Singles allein benutzt werden. Müssen aber nicht. Auf die Frage, ob sich die Kundschaft in den drei bearbeiteten Märkten Deutschland, Österreich und Schweiz unterscheiden antwortet Inga Bohn:

«Die Deutschen sind tendenziell die Kritischsten. Die Österreicher schauen am meisten auf den Preis, die Schweizer sind hingegen bereit, für gute Qualität auch mehr zu bezahlen.»

«Keiner wird’s erfahren.»

So ganz konsequent ist Amorelie mit dem Tabubrechen dann allerdings doch nicht: Pakete werden ultra-neutral verschickt. Unverfänglicher Absender, Logo-los, bar des kleinsten Hinweises für die ach so neugierige Nachbarschaft. Die sexuelle (Selbst-)Erfüllung bleibt Privatsache. Ausser, natürlich, man ist so modern, eine Produktebewertung unter Klarnamen zu verfassen. But dare you?

Produktebewertungen spielen auf Amorelie eine grosse Rolle. Es gibt zu jedem Vibrator mindestens eine Kundin, einen Kunden, der ihn wohl getestet hat. .

Pollok und Cramer haben Amorelie mittlerweile verlassen. Bemerkenswerterweise sollen 70% der Fürhungspositionen bei Amorelie durch Frauen besetzt sein. Die derzeitige CEO heisst Claire Midwood. Ist der hohe Frauenanteil ein Grund für den Erfolg?

Die Aufgabe der Kundenorientierung nimmt Inga Bohn, die vor Ihrer Zeit bei Amorelie 15 Jahre lang als Beraterin tätig war, jedenfalls sehr ernst, wenn sie sagt:

«Put yourself in your customers bedroom»

Gemeint ist damit nicht Voyeurismus, sondern vielmehr regelmässige Kundenbefragungen, Interviews und Workshops. Inga Bohn gibt sogar einen eigenen Branchenreport heraus. Amorelie arbeitet dafür intensiv mit Produkte-Testerinnen und -Testern, was zuweilen bis zur Co-Creation neuer Sextoys geht. Dabei betont Inga Bohn aber auch, dass Kundinnen und Kunden zwar beobachtet und befragt werden können, Schlüsse ziehen und Entscheidungen fällen müssten aber immer noch die Expertinnen und Experten.

Customer Centricity habe viel mit analytischem Denken, Daten strukturieren, Kernaussagen heraussortierten, Insights und Aktionen ableiten zu tun. Es sei ein Teamsport, bei dem die ganze Firma beteiligt sei.

«Theoretisch sollte es keinen Customer Centricity Zuständigen geben, weil sich alle zuständig fühlen.»

Das zu erreichen sei nicht leicht. «Aus Reibung entsteht Glanz» ist ein anderer Leitspruch von Inga. Erkenntnisse, wie etwas besser gemacht werden könne, müssten manchmal sehr oft wiederholt werden, bevor wirklich etwas verändert werde. Der Schritt vom Beobachten zum Verbessern verdeutlicht auch den Unterschied von Marktforschung zu Kundenorientiertheit: Das eine ist passiv, das andere aktiv.

Kundenorientiert koste auch, sei aber gleichzeitig ein Profit-Center. Bei IKEA gelte deswegen nicht umsonst die Devise: Was für den Kunden gut ist, ist am Ende auch für IKEA gut. Kundenorientierung peile langfristige Massnahmen an, die sich kurzfristig oft weder auswerten lassen noch rechnen, langfristig jedoch umso mehr. Um Kundenorientierung intern zu verankern, schlägt Inga Bohn u.a. folgende Massnahmen vor:

  • Verbündete in diversen Abteilungen finden (Ambassadors trainieren, eigene Insights abzuleiten und in ihre Teams zu bringen)
  • Workshopformate und kollaborative Prozesse zu nutzen
  • Einfache und einleuchtende Insights formulieren lernen und oft wiederholen

Falls Du Amorelie unterstützen willst, kaufe nicht nur ein Produkt, sondern vergiss bitte nicht, dass Produkt auch zu bewerten 😉

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