Dynamic Pricing 2019: Fluch oder Segen? von André Reichenbach
Das neuzeitliche Buzzword «Dynamic Pricing 2019» taucht immer wieder auf, insbesondere im Zusammenhang mit E-Commerce. Allein beim Klang dieses Wortes kann man sich die langen Gesichter und die erhobenen Mahnzeigefinger der Konsumentenschützer vorstellen. Dynamic Pricing ist offenbar die böse Seite von Big Data. Der gläserne Kunde liefert den Anbietern -bewusst oder unterbewusst- seine persönlichen Daten und erhält als Resultat den Preis, der seiner individuellen, maximalen Zahlungsbereitschaft entspricht. So könnte man meinen, aber was genau ist «Dynamic Pricing» überhaupt?
Dynamische Preissteuerung (engl. Dynamic Pricing) hat seinen Ursprung in den 1970er Jahren mit der Deregulierung des amerikanischen Luftverkehrs. Durch die neue, starke Konkurrenz von Low-Cost Carriern wurden die etablierten Fluggesellschaften unter Druck gesetzt und griffen auf das Instrument der Preisdifferenzierung zurück – mit durchschlagendem Erfolg. Rasch breitete sich dieses Phänomen auch in anderen Branchen aus, sodass es mittlerweile vor allem in der Reise- und Tourismusbranche gängige Praxis ist. Aber auch für Onlineshops ist Dynamic Pricing interessant. Als bekannt wurde, dass Amazon die Preise mehrmals am Tag änderte, schlug das hohe Wellen, auch ausserhalb der Branche.
Dynamic Pricing beschreibt die Preisstrategie, bei der der Preis für ein Angebot über die Zeit angepasst wird, abhängig von verschiedenen marktabhängigen Informationen. Wenn zahlungskräftige Kunden erwartet werden, erhöhen sich die Preise. Wird dagegen eine schwache Nachfrage vermutet, werden die Preise gesenkt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Preisanpassung anhand des Wetters. Bei Regen wird eine höhere Zahlungsbereitschaft für beispielsweise Regenschirme unterstellt und aufgrund dessen die Preise für diese Produkte erhöht. Beim Dynamic Pricing werden die Preise also in Abhängigkeit von der auf den Gesamtmarkt aggregierten Nachfrage angepasst. Für hiesiges Beispiel für die Berechnung des Preises bei Dynamic Pricing heisst das, dass theoretisch nur situative Informationen wie Tageszeit, Wetter oder dem Wettbewerbspreis mit einfliessen.
Damit lässt sich Dynamic Pricing als eine Form der Preisdifferenzierung 3. Grades einordnen. Diese liegt vor, wenn verschiedene Personengruppen für dasselbe Produkt unterschiedliche Preise bezahlen.
Wenn von Dynamic Pricing die Rede ist, ist aber meistens eigentlich Personal Pricing, also personalisierte Preise, gemeint. Das personalisierte Pricing zielt darauf ab, jedem Nachfrager seinen eigenen, individuellen Preis anzuzeigen. Es wird also versucht mit Hilfe von möglichst vielen Informationen (Big Data) die maximale Zahlungsbereitschaft der einzelnen Kunden heraus zu finden. So werden im Gegensatz zu Dynamic Pricing beispielsweise Cookies, demografische Daten und das historische Einkaufsverhalten analysiert, um eine möglichst genaue Zahlungsbereitschaft abzuschätzen.
Damit ist personalisiertes Pricing der Preisdifferenzierung 1. Grades zuzuordnen und in der Theorie nicht identisch mit Dynamic Pricing. In der Praxis jedoch ist diese Grenze fliessend und für den Kunden von aussen praktisch unmöglich zu unterscheiden. Pricing Strategien lassen sich auch problemlos miteinander kombinieren und schaffen so im Extremfall eine Mischung aus Dynamic Pricing und Personal Pricing.
Keine Angst vor personalisierten Preisen
Personalisierte Preise sind in der Praxis sehr viel weniger weit verbreitet als allgemein angenommen. In einer Studie aus dem Jahr 2016 (Krämer/Kalka/Ziehe) wurden die Preisschwankungen von 200 verschiedenen Konsumgüterprodukten aus dem Online- und Einzelhandel über einen Zeitraum von 4 Wochen beobachtet (ohne Tourismus). Die Ergebnisse zeigen, dass insgesamt nur bei etwa 25% der untersuchten Produkte Preisschwankungen erkannt wurden. Bei 3 von 4 Produkten blieben demzufolge die angezeigten Preise im beobachteten Zeitraum unverändert. Preisveränderungen konnten dabei insbesondere in Abhängigkeit von Wochentagen und Uhrzeit beobachtet werden. Bei keinem Anbieter konnten jedoch Hinweise für eine individuelle Preisbestimmung auf Basis eines Kundenkontos oder der Cookie-Einstellungen festgestellt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrzahl der Anbieter keine oder nur schwach dynamisierte Preisveränderungen vornehmen. Experten raten sogar ausdrücklich vor stark diskriminierenden und undurchsichtigen Preisen ab.
Fazit
Anbieter bewegen sich mit Dynamic Pricing 2019 auf dünnem Eis. Auf der einen Seite steht das grosse Umsatzpotenzial, auf der anderen Seite verärgert eine zu starke Preisdiskriminierung die (potenziellen) Kunden. Fasst man die Ergebnisse zusammen, kommt man zu dem Schluss, dass Dynamic Pricing eine sehr effektive Preisstrategie ist, von der oftmals sogar Käufer und Anbieter gleichermassen profitieren. Jedoch stellt die wahrgenommene Preisfairness einen wichtigen Risikofaktor dar. Entsprechend ist ein sehr sensibler Umgang mit diesem Thema erforderlich.
Weiterführende Links
– Techbook: Mit diesen Tricks kriegen Sie die niedrigsten Preise im Netz
– Studie Krämer, A., Kalka, R., & Ziehe, N. (2016). Personalisiertes und dynamisches Pricing aus Einzelhandels- und Verbrauchersicht. Marketing Review St. Gallen, S. 5
– Preisdifferenzierung nach dem englischen Ökonom Arthur Cecil Pigou (1929): Die verschiedenen Arten der Preisdifferenzierung